Sieben Tage Radio- und Fernsehverbot sowie Einzelhaft. Mit dieser Sanktion belegte die Justizvollzugsanstalt Charlottenburg einen Gefangenen, weil dieser eine Urinprobe verweigert hatte. Zumindest nahm die Gefängnisleitung das an. Das Kammergericht Berlin hat ihr jetzt aber erklärt, dass nicht jedes ungefüllte Probenglas auf Böswilligkeit beruhen muss.
Der Gefangene war am Morgen zur Urinprobe gebeten worden, um ihn auf Drogen zu testen. Das kam für ihn überraschend. Zwar folgte er den Beamten in den vorgesehenen Raum. Er wies aber auch gleich darauf hin, dass er wohl so schnell nicht pinkeln kann, weil er das gerade in der Zelle erledigt hatte. Man reichte ihm hierauf 0,6 Liter Wasser, die er auch trank.
Trotzdem kam nichts, und zwar 90 Minuten lang. Die Mitarbeiter der JVA brachen die Aktion ab und beantragten die Strafe für den Gefangenen. Dieser wehrte sich jedoch. Er leide seit seinem zwölften Lebensjahr unter Harnverhaltung (Panuresis) und könne deshalb mitunter einfach kein Wasser lassen. Das habe psychische wie physische Ursachen.
Die Anstaltsärztin erklärte lediglich, nach einem Konsum von 0,6 Litern Wasser habe der Gefangene auf jeden Fall urinieren können. Das Kammergericht Berlin kritisiert zunächst, dass sich das Gefängnis gar nicht dafür interessiert, ob der Betroffene nicht vielleicht wirklich unter Harnverhaltung leidet. Behaupte ein Gefangener eine Erkrankung, müsse dies auch ernstgenommen werden.
Ein Urintest dürfe überdies nicht einfach als verweigert gewertet werden, bloß weil eine bestimmte Zeit vergangen ist. Vielmehr sei es wie bei einer Dopingprobe im Sport. Der Getestete müsse so lange Zeit bekommen, wie er braucht. Eine Weigerung liege nur vor, wenn er dies durch Worte oder Gesten deutlich mache. So lange nur der Urinfluss ausbleibe, der Gefangene sich aber weiter willig gebe, müsse auf ihn gewartet werden.
Da die Justizmitarbeiter zu ungeduldig waren, wurde die Disziplinarmaßnahme zu Unrecht verhängt.
Kammergericht Berlin, Beschluss vom 1. September 2011, Aktenzeichen 2 Ws 383/11 Vollz