Die verschenkten Mandate

Die Klientel eines Strafverteidigers hat oft viel Ärger am Hals. Da laufen zwei, drei, mitunter auch ein Dutzend oder mehr Ermittlungsverfahren. Vielleicht sogar in verschiedenen Städten. Es liegen aber keine Haftgründe vor. Aber nun passiert’s: Eine schwere Beschuldigung kommt hinzu, der Mandant geht in Untersuchungshaft. Ein klarer Fall der Pflichtverteidigung…

… mit der Folge, dass der Staat (zunächst) die Anwaltskosten übernimmt. Viele Anwälte übersehen an dieser Stelle einen wichtigen Punkt. Mit der Inhaftierung hat der Mandant nicht nur Anspruch auf einen Pflichtverteidiger in der Sache, in der Untersuchungshaft angeordnet wurde. Nein, in jedem gegen ihn laufenden Verfahren muss ihm nun ein Pflichtverteidiger beigeordnet werden. Selbst wenn es sich nur um einen Ladendiebstahl oder ein anderes Bagatelldelikt handelt, für das man sonst keinen Pflichtverteidiger bekommt.

Auch bei Gerichten und Staatsanwaltschaften hat es sich noch nicht überall herumgesprochen, dass der neue § 140 Abs. 1 Ziff. 4 Strafprozessordnung die Rechte eines Beschuldigten hier wesentlich verbessert hat. Wenn ich nach der Festnahme eines Mandanten auch in allen anderen Verfahren Beiordnung beantrage, kommen dann schon mal erstaunte Rückfragen. Der Auftraggeber sitze doch noch keine drei Monate (altes Gesetz). Es könne doch nicht sein, dass es nun auch einen Pflichtverteidiger für ‘ne Backpfeife gibt.

Doch.

So sieht es auch das Oberlandesgericht Frankfurt. In einem Beschluss vom 22. April 2010 (3 Ws 351/10) weisen die Richter mit guten Gründen den Einwand zurück, der Beiordnungsanspruch beziehe sich nur auf das Verfahren, in dem Untersuchungshaft angeordnet wurde. Der Gesetzgeber habe die Untersuchungshaft als so belastend eingestuft, dass der Beschuldigte in allen gegen ihn laufenden Verfahren Anspruch auf einen Pflichtverteidiger habe. Dieser Auffassung hat sich auch das Landgericht Itzehoe angeschlossen. Anders haben bislang nur untergeordnete Gerichte entschieden, etwa das Landgericht Saarbrücken und das Amtsgericht Wuppertal.

Bislang haben sich alle Richter überzeugen lassen, mit denen ich über eine Beiordnung in dieser Konstellation diskutierte. Es gibt also guten Grund, bei der Inhaftierung eines Mandanten zu schauen, was für Verfahren sonst noch im Aktenschrank schlummern.