Eindrucksvoll an ärztlichen Stellungnahmen aus dem psychiatrischen Bereich sind mitunter nur akademische Titel, Briefkopf und Stempel. In wechselnder Reihenfolge. Beim Bericht, den ich vorhin gelesen habe, stach vor allem die Funktion „Chefärztin“ hervor.
Vom Inhalt her waren die Ausführungen eher ein Beleg dafür, wie distanzlos und kritikunfähig Therapeuten mitunter gegenüber ihren eigenen Patienten sind. Über Seiten schilderte die Ärztin, welch enormen gesundheitlichen Problemen sich ihre gerade mal 16-jährige Patientin schon gegenübersieht.
Zu den schlimmsten gehören akute Wahnvorstellungen. Vor den Augen des Kindes spielen sich unvermittelt apokalyptische Szenen ab, die mal zu Panik, mal zu kaum lösbarer Erstarrung führen. Dazu kommen weitere Krankheitsbilder. Das Mädchen kann nicht zur Schule gehen.
Während der Therapie sollen sich Hinweise auf sexuellen Missbrauch ergeben haben. Die Ärztin gibt die Schilderungen des Mädchens in indirekter Rede wieder. Ich kann keine Details schreiben, aber die Darstellungen sind so monströs und bizarr, dass einem teilweise der Atem stockt. Das will ja an sich nichts heißen, aber das Mädchen will solche Erfahrungen nicht nur im Familienkreis gemacht haben.
Auch ihr unbekannte männliche, stets maskierte Passanten hätten sie des öfteren einfach angehalten und missbraucht. Das soll teilweise sogar tagsüber auf offener Straße passiert sein. Die Polizei hat, was der Ärztin nicht bekannt war, sich von dem Mädchen angebliche Tatorte zeigen lassen. Ein Ort liegt zum Beispiel offen einsehbar direkt gegenüber von Mehrfamilienhäusern. Urteil der Polizei: praktisch ausgeschlossen, dass ein Täter diesen Platz wählt.
Die Therapeutin geht mit keinem Wort auf diese Dinge ein. Sie schließt ihren Bericht mit der Aussage:
An der Glaubwürdigkeit der Patientin bestehen keine Zweifel.
Traurig an der Sache ist, dass Polizeibeamte, Staatsanwälte und Richter halt mitunter nicht nur wenig Ahnung von Medizin haben, sondern auch wenig Zeit. (Gilt natürlich auch für Rechtsanwälte.) Da liegt es nahe, erst mal nur das „Ergebnis “ zur Kenntnis zu nehmen. Darauf wird dann schon mal ein Haftbefehl gestützt.
So weit kam es in diesem Fall glücklicherweise nicht. Die Chefärztin hat ihre Inkompetenz letztlich doch zu schlecht kaschiert.