Ju-Ju

Plötzlich müssen sie sich mit einem grausamen Zauber beschäftigen. Der ist selbst für hartgesottene Kriminalisten neu und mit gesundem Menschenverstand kaum zu verstehen. Eine Magie ist es, die von der afrikanischen Westküste kommt und hier den Ermittlern den Atem stocken lässt. Denn Polizisten und Mitarbeiter von Hilfsorganisationen bekommen die Qual der Opfer zu spüren – Mädchen und junge Frauen werden von Priestern in Nigeria seelisch zur Prostitution genötigt, mit falschen Pässen nach Deutschland und andere europäische Länder geschleust und über tausende von Kilometern abhängig gehalten.

Kürzlich nahm die Bonner Polizei eine 30 Jahre alte Frau fest, eine mutmaßliche Zuhälterin, im Rotlichtjargon „Madame“ genannt. Sie steht im dringenden Verdacht, ihr jüngeres Opfer zur Prostitution gebracht und ausgebeutet zu haben. Inzwischen hat die Staatsanwaltschaft Anklage erhoben, in der auch der Vorwurf des Menschenhandels steht.

Diesen Begriff benutzt auch Margit Forster, die Berliner Sprecherin des Vereins „Solidarität für Frauen in Not“ (Solwodi). Sie spricht bei den neuen Methoden von einer „Vernetzung“. Ahnungslosen Mädchen und Frauen wird in ihrer Heimat, meist Nigeria, ein Leben voller Verheißung, in Wohlstand versprochen. Mit dem Anreiz zudem, von Europa aus ihrer meist armen Familie zu helfen.

In diese Erwartung hinein vollbringen die Verführer ihr Werk. Die Mädchen und Frauen werden unter seelischen Druck gesetzt. Mit einem Ritual, einer Mischung aus (auch christlicher) Religion, afrikanischem Brauchtum und Aberglaube: „Tschu-Tschu“, so spricht Forster den Kult namens „Ju-Ju“ aus.

Er erinnert entfernt an das Geistergehabe des bekannten „Voodoo“. Ein Priester sammelt von den Arglosen intime Dinge. Schamhaare etwa, Fingernägel, selbst Menstruationsblut. Diese Zutaten („Pac“ genannt) werden in einem Schrein vergraben, einem angeblich heiligen Ort. Dazu schwören die Opfer bei ihrem Leben, ihrer Gesundheit und ihrer Familie erstens absolutes Schweigen und zweitens unbedingten Gehorsam.

Dazu gehört der hierzulande kriminelle Aspekt: Die angebliche Investition für ihre lockende Zukunft müssen die Mädchen und Frauen mit ihrem Körper abarbeiten. Sie müssen in Deutschland und den Nachbarstaaten als Prostituierte arbeiten. Wenigstens so lange, bis sie zwischen 40.000 und 70.000 Euro vermeintlicher Schulden zurückgezahlt haben.

Dabei stehen sie unter gleich mehrfachem Zwang. Einerseits fordert die Familie ihren Geldanteil von der Ausgebeuten, die ihre wahre Tätigkeit allerdings ihren Eltern und Verwandten nicht offennbaren darf. Denn daheim lauert der Priester, der wiederum Kontakt zur Familie hält. Erfährt dieser „Hexer“ etwas, was ihm nicht passt (und auch zur „Madame“ hält er Kontakt), könnte er sich an dem „Pac“ vergreifen, über die Ferne also seinem Opfer zusetzen.

Das ist zwar naturwissenschaftlich Humbug. „Doch die Frauen glauben es, das ist das Tragische“, weiß Margit Forster. „Sie sehen sich von Krankheiten, vom Wahnsinn und dem Tod bedroht. Erste Anzeichen selbst einer Erkältung werden für die Folge des Zaubers gehalten.“ Das Gefühl steigere sich bis zur Todesangst.

All das werde von den „Madames“ gefördert. Deren Persönlichkeit sei oft gespalten: „Sie sind häufig selbst Prostituierte gewesen“, berichtet Helga Tauch. Sie ist in Duisburg die Solwodi-Leiterin für Nordrhein-Westfalen, betreut momentan Opfer im Alter zwischen 15 und 24 Jahren.

„Die Frauen klagen über Unterleibsbeschwerden und Schlaflosigkeit. Dabei gibt es medizinisch keinen Befund“. Solwodi versucht, das Selbstbewusstsein der Betroffenen zu stärken. „Wir versuchen es mit Sprachschulungen, Tanz, Therapien.“ Aber immer droht dabei ein bürokratisches Hindernis: Dürfen diese Frauen in Deutschland bleiben? Gute Zeuginnen gegen ihre Unterdrücker sind sie selten. Die meisten können, weil sie Analphabetinnen sind, den Ermittlern nicht einmal einen Straßennamen nennen. Selbst wenn sie wollten. Doch sie schworen Schweigen. (pbd)

Verantwortung übernehmen

Freier müssen Verantwortung übernehmen, so appelliert Helga Tauch von der Frauenhilfsorgisation Solwodi in Duisburg. Eine junge Frau in der Prostitution könnte Hilfe brauchen, sie könnte ein Opfer von Menschenhandel sein, wenn sie verängstigt ist oder weint, willenlos alle Kundenwünsche erfüllt, in verschlossenen Räumen arbeitet, wenig oder kein Deutsch spricht, minderjährig ist, das Geld für ihre Dienste nicht selbst in Empfang nimmt, nicht auf dem Gebrauch eines Kondoms besteht, der Körper Spuren von Misshandlungen aufweist.

Bei Gewalt gegen Frauen informiert das nordrhein-westfälische Gesundheitsministerium online.

Das Landeskriminalamt verzeichnet „erstmals 19 nigerianische Staatsangehörige als Opfer“, denen ein Schwur im Heimatland abverlangt wurde. Hintergründe oder eine Auflärungsquote sind momentan nicht bekannt. Freier, die Hinweise auf Zwangsprostituierte geben, bleiben nach Angaben des Landeskriminalamtes straffrei. (pbd)