Inkasso ist an sich kein unehrenhafter Beruf – wenn sich der Unternehmer an Recht und Gesetz hält. Ein in dieser Richtung eher unbeleckter Vertreter des Gewerbes hatte eine andere Ehre. Er wurde zum Schöffen am Landgericht Aachen gewählt. Einen Monat vor seinem Einsatz in einem Drogenprozess schrieb er an einen Schuldner:
Herr (…)! Auch dieses Schreiben wird Ihnen irgendwie am A… vorbei-
gehen. Vorab: Sie brauchen sich nicht wieder ‚hilfesuchend‘ an Ihren ‚Spannmann‘ in Aachen zu wenden. Was zu regeln gilt, werden wir in Belgien ‚unter Männern klären‘. 1.797,06 € stehen zur Zahlung an (…) Kooperation oder Konfrontation; Sie haben die ‚Wahl der Waffen‘. Ich erwarte binnen Wochenfrist die Zahlung (…).“
Den Angeklagten in dem betreffenden Verfahren kannte der Inkassounternehmer nicht. Wie es aber der Zufall will, wurde der Angeklagte just von jenem „Spannmann“ aus dem Schreiben verteidigt. Der Rechtsanwalt hatte vorher auch schon den Schuldner vertreten, an den die Aufforderung zum Duell gerichtet war.
Den unvermeidlichen Befangenheitsantrag konnte das Landgericht Aachen nichts abgewinnen. Der Schöffe erklärte, er könne zwischen Beruf und Richteramt unterscheiden. Eine rechtsfeindliche Gesinnung, die grundsätzliche Zweifel an seiner Eignung erweckt hätte, konnte die Aachener Strafkammer nicht erkennen.
Ganz anders der Bundesgerichtshof. Der hielt den Schöffen nicht nur für befangen, sondern überdies für gänzlich ungeeignet, Urteile im Namen des Volkes zu sprechen. Zunächst stellt der Bundesgerichtshof klar, dass Schöffen keine Richter zweiter Klasse sind:
Das Ehrenamt des Schöffen in Strafgerichten stellt an die rechtliche Gesinnung und die Rechtstreue des Schöffen hohe Anforderungen. Dem Schöffen kommen in seiner Eigenschaft als zur Entscheidung berufenen Richter grundsätzlich dieselben Rechte und Pflichten zu wie den Berufsrichtern; insbesondere hat seine Stimme bei der Abstimmung in Schuld- und Straffragen dasselbe Gewicht. Das Gesetz stellt daher an ehrenamtliche Richter dieselben Anforderungen der Unbefangenheit und Rechtstreue, wie sie für Berufsrichter gelten. …
Ein Schöffe, der sich offen zur Selbstjustiz und zur Durchsetzung von (angeblichen) Forderungen mittels rechtswidriger Drohungen oder Gewalt bekennt, begründet regelmäßig Zweifel an seiner Rechtstreue.
Es fällt den Richtern auch nicht sonderlich schwer, aus den Fakten auf die fehlende Rechtstreue des Schöffen zu schließen:
Das Schreiben enthielt nach seinem Wortlaut eine kaum verhüllte Drohung mit gewaltsamer Selbstjustiz („unter Männern regeln“) und stellte daher jedenfalls nach dem ersten Anschein eine rechtswidrige Drohung im Sinne von § 240 Abs. 1 StGB dar. Selbst wenn im Inkassogewerbe ein grundsätzlich „rauer Ton“ herrschen sollte, ging die unflätige, beleidigende und drohende Fassung des Schreibens über die Grenzen des Tolerierbaren weit hinaus.
Besonderes Gewicht kommt daher hier dem Umstand zu, dass der abgelehnte Schöffe selbst in seiner dienstlichen Äußerung hiervon nicht abrückte oder einen Erklärungsversuch unternahm, sondern nur lapidar mitteilte, er könne Beruf und Richteramt trennen. Sein rechtsfeindliches Verhalten zur Rechtsdurchsetzung und eine dies tragende Gesinnung bestätigte er damit gerade.
Insgesamt durfte der Angeklagte also an der Unparteilichkeit und Rechtstreue des Schöffen zweifeln. Die Sache muss neu verhandelt werden.
(Bundesgerichtshof, Urteil vom 28. April 2010; 2 StR 595/09)