Die Straßenverkehrsordnung ist eine Ausnahme. Sie spricht, im Gegensatz zu den meisten anderen Produkten des Gesetzgebers, eine klare Sprache. Zu den Vorrechten von Fahrzeugen, die mit Blaulicht unterwegs sind, sagt § 38:
Alle übrigen Verkehrsteilnehmer haben sofort freie Bahn zu schaffen.
Eine Botschaft, die heute offensichtlich nicht mehr richtig ankommt. Gerade in der Großstadt kümmern Blaulicht und Martinshorn nur noch eine gewissenhafte Minderheit der Autofahrer. Die anderen hören entweder nichts (iPod). Oder denken, die Einsatzkräfte wollen ja doch nur nicht, dass die Pommes Currywurst kalt wird.
Das Oberlandesgericht Hamm hat in einer Entscheidung die Rechte und Pflichten der Beteiligten anschaulich zusammengefasst.
Der Fahrer des mit blauem Blinklicht und Einsatzhorn fahrenden Einsatzfahrzeuges soll – bei gebotener Rücksichtnahme auf bevorrechtigten Verkehr – in die Lage versetzt werden, zügig zum Einsatzort zu gelangen. Die übrigen Verkehrsteilnehmer müssen ihm dies ermöglichen. Die Entscheidung, welchen Weg er nimmt, obliegt zunächst allein dem Vorrechtsfahrer, der diese Wahl unter Berücksichtigung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung und Rücksichtnahme auf die übrigen Verkehrsteilnehmer zu treffen hat.
Dabei habe der Einsatzfahrer den Vorrang anderer Fahrzeuge so lange zu beachten, bis er nach den Umständen davon ausgehen darf, dass ihn die anderen Verkehrsteilnehmer wahrgenommen haben und ersichtlich freie Bahn schaffen. Ab diesem Moment dürfe er die von ihm gewählte Fahrstrecke in Anspruch nehmen und darauf vertrauen, dass der in Anspruch genommene Weg weiter frei gehalten wird.
Im Ergebnis bedeutet das nicht nur freie Bahn schaffen, sondern auch ab dann stehenbleiben, dem Einsatzfahrzeug jedenfalls aber nicht mehr in die Quere kommen. Das Gericht:
Der wartepflichtige Verkehrsteilnehmer, der den Weg frei geräumt hat, darf erst dann wieder seine Position bzw. Fahrweise verändern, wenn er sicher sein kann, dadurch den Einsatzwagen nicht zu behindern.
Im entschiedenen Fall hatte ein Autofahrer erst auf dem Mittelstreifen gebremst, wechselte dann aber noch einmal die Spur in Richtung Gegenverkehr, um – so sagte er jedenfalls – dem Einsatzwagen eine bessere Strecke freizumachen. Es kam zum Zusammenstoß, weil der Notarztwagen sowieso über die Gegenspur fahren wollte. Für den Unfall haftet der Autofahrer nach Auffassung des Gerichts schon deswegen, weil nicht er, sondern der Fahrer des Notarztwagens bestimmt, welchen Weg das Auto mit Blaulicht nimmt.
(Urteil vom 20. 3. 2009 – 9 U 187/08; Auch zum Thema)