Beim Betreten des Gerichtssaals stutzte ich. Klar, wir hatten drei Angeklagte, deshalb nahmen neben mir zwei weitere Verteidiger Platz. Aber was machte der freundlich lächelnde Rechtsanwalt auf der anderen Seite? Er hatte sich und seine Akten neben der Staatsanwältin ausgebreitet.
Der Richter fragte gleich zu Anfang, ob Bedenken bestehen, den Geschädigten als Nebenkläger beizuordnen und die Nebenklage von dem betreffenden Anwalt vertreten zu lassen. Die Bedenken hatte ich wohl und äußerte sie auch. Immerhin waren wir hier beim Jugendschöffengericht. Die Angeklagten sind noch keine 18 Jahre alt und damit Jugendliche. Gegen Jugendliche ist die Nebenklage aber nur eingeschränkt zulässig. Bis vor einigen Jahren war sie gar nicht möglich.
„Unzulässig“, lautete also das Wort, mit dem ich meine Bedenken zusammenfasste. Mehr konnte ich erst mal nicht sagen, weil mein Netbook hochfuhr und ich noch nicht bei beck-online auf die einschlägigen Paragrafen zugreifen konnte.
Das Lächeln des Anwalts wurde breiter. Überheblich will ich jetzt mal nicht sagen. Auch der Richter verwies aufs „geänderte Gesetz“ und implizierte damit, dass im Alltagsstress bei manchen Anwälten die Fortbildung leidet. Er war aber immerhin bereit, mal hineinzuschauen. Musste er ja ohnehin, wenn er einen Beschluss zu erlassen hätte. Je länger die Lektüre dauerte, desto ungläubiger wurde die Miene des Richters. Gleiches galt für das Gesicht des Nebenklägers in spe, der sich, mangels eigener Gesetzessammlung, vom Richter dessen aktuellen Gesetzestext auslieh und ebenfalls fleißig las.
Heute ging es um gefährliche Körperletzung. Für Fälle der Körperverletzung lässt § 80 Abs. 3 des Jugendgerichtsgesetzes Nebenklage gegen Jugendliche zu. Aber wie das bei Juristen ist: Keine Ausnahme ohne weitere Ausnahme. Es muss sich bei der Körperverletzung um ein Verbrechen handeln. Verbrechen sind Tatbestände, bei denen die Mindeststrafe ein Jahr Gefängnis ist. Gefährliche Körperverletzung gibt es schon ab einem halben Jahr. Sie ist also kein Verbrechen, sondern nur ein Vergehen.
Der Gesetzestext wurde gedreht und gewendet. Heraus kam aber nur eins: Die Nebenklage war keine Formsache, sondern unzulässig. Wenigstens sah der Rechtsanwalt das dann auch ein, packte seine Sachen und ging.
Die Tür hätte er allerdings nicht knallen müssen.