DOKTOR, SCHON WIEDER
Doktortitel. Wir sprachen drüber. Damit kann man vieles. Einlullen zum Beispiel. Ich muss gestehen, mir ist es mal wieder passiert. Kann man einen Herrn Doktor um Vorschuss angehen, nachdem er die Honorarvereinbarung unterschrieben hat? Später, sagte ich mir. Ich habe also kräftig vorgearbeitet. Akteneinsicht, Aktenstudium, Besprechungen. Letzteres in der zeitraubenden Variante. Manche wollen es halt genauer wissen.
Die erste Rechnung schickte ich nach drei Monaten. Klingelte vorher noch jeden Abend mein Handy (nach einigen Anrufen während der Bürozeiten), um „das Wichtigste noch einmal durchzugehen“, gingen wir über zu Kommunikationsverweigerung. Einseitiger.
Als ich ihn dann mal endlich am Telefon hatte, kriegte ich einen drauf. Meine Rechnung sei unverschämt. Im zweiten Satz kam gleich das Wort Anwaltskammer vor. „Sie haben doch noch gar nichts für mich erreicht.“ Gar nichts? Eine längere Besprechung auswärts? Die paar Aktenordner? Der Schriftsatzentwurf? „Das geht ja noch“, schnauzte der sonst so samtweiche Mandant. „Aber unsere Hintergrundgespräche? Die soll ich bezahlen?“
„Ich verkaufe meine Arbeitszeit. Wenn Sie mit mir Gespräche führen, kann ich nicht für andere arbeiten.“ „Aber wenn ich Sie abends anrufe, dann arbeiten Sie doch nicht mehr.“ „Doch, in diesem Augenblick schon. Außerdem erreichen Sie mich um Ihre Lieblingszeit meistens noch im Büro.“
Wir mussten uns also im Unfrieden trennen. Im Honorarprozess behauptete der Ex-Mandant: „Mindestens 75 % der Zeit hat Herr Vetter dafür aufgewendet, mir zu erzählen, was für ein toller Anwalt er ist und wie viele wichtige Fälle er schon gelöst hat.“ So hatte ich es noch nicht gesehen. Da ruft mich also ein Kunde bevorzugt um 20.30 Uhr an, um sich noch etwas aus meinem Leben erzählen zu lassen. Udo, das Sandmännchen.
Der Richter am Amtsgericht nahm die Vorwürfe mit Fassung. Sein Vorschlag: „Wir rechnen einfach eine angemessene Zeit raus, in der Ihr früherer Anwalt unaufgefordert über sich erzählt hat.“ Mein Gegner und sein Anwalt grinsten.
Der Richter: „Der Herr Vetter hat ja auch schon den einen oder anderen Fall bei mir gehabt. Wenn ich ihn richtig einschätze, wäre mein Vorschlag, wir ziehen 15 Minuten ab. Vom gesamten Zeitaufwand.“ Umgerechnet waren das exakt ein Prozent des eingeklagten Betrages.
Die Gegenseite zeigte die Zähne. Der Kollege, der jetzt für den Doktor focht und wahrscheinlich auch keinen Vorschuss genommen hat, holte weitere vier Prozent raus. Ich hätte mich auch 80 : 20 verglichen. Aber man soll auch anderen ein Erfolgserlebnis gönnen.
Mein Geld habe ich übrigens immer noch nicht. Der Doktor steht angeblich kurz vor der Pleite. Hierfür kann ich mich gleich doppelt bedanken – bei meiner puddingweichen Gebührenpolitik und bei Frau Ulla Schmidt.