Ich wundere mich über die Politiker der Großen Koalition. Diese haben eine Gesetzeslücke ausgemacht, welche dringend geschlossen werden muss. Seit Tagen dröhnt auf uns eine Kakophonie von Forderungen ein, wonach unverzüglich was passieren muss. Als Konsequenz aus der Edathy-Affäre, so erklären sie landauf, landab, müsse der Verkauf oder sogar die bloße Weitergabe von Bildern nackter Kinder unter Strafe gestellt werden. Und zwar besser gestern als heute. Ein juristischer Notstand, sozusagen.
Die Betreffenden sollten mal einen Blick ins Gesetz werfen, bevor sie neue Gesetze fordern. Es gibt nämlich längst einen Straftatbestand, der die Verbreitung oder Veröffentlichung von Bildern fremder Personen verbietet, sofern diese nicht zugestimmt haben. Die Vorschrift gilt unabhängig vom Alter der Betroffenen. Sie ist übrigens auch unabhängig vom Grad der Bekleidung.
Erstaunlich finde ich das Ganze, weil das Gesetz eigentlich für jeden verständlich ist. Es handelt sich insgesamt um drei Paragrafen, und die sind noch nicht mal lang. Zunächst regelt § 22 Kunsturheberrechtsgesetz:
Bildnisse dürfen nur mit Einwilligung des Abgebildeten verbreitet oder öffentlich zur Schau gestellt werden.
§ 23 Kunsturheberrechtsgesetz regelt Ausnahmen, etwa wenn es sich um Personen der Zeitgeschichte handelt. Es ist noch nicht einmal ansatzweise erkennbar, welche der vorgesehenen Ausnahmen die Verbreitung von Bildern nackter Kinder rechtfertigen könnten.
Womit wir schon beim Straftatbestand angekommen sind, der genau das verbietet, was jetzt so dringend verboten werden soll. Auch diese Vorschrift, der Paragraf 33, ist nicht sonderlich kompliziert formuliert:
Mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer entgegen den §§ 22, 23 ein Bildnis verbreitet oder öffentlich zur Schau stellt.
Die Tat wird nur auf Antrag verfolgt.
Was wollen die zahlreichen Entdecker von riesigen Gesetzeslücken eigentlich, das über diese klare und eindeutige Vorschrift hinausgeht? Den Absatz 2, die Notwendigkeit eines Strafantrags, könnte man ja streichen. Selbst wenn die Betroffenen unbekannt sind, könnten die Ermittlungsbehörden dann von Amts wegen einschreiten.
Ganz neu ist das Gesetz übrigens nicht. Es trat in Kraft, nachdem sich Journalisten Zugang zum Sterbezimmer des Reichskanzlers Otto von Bismarck verschafft hatten. Anschließend versuchten sie, Bilder des Verstorbenen zu verkaufen.
Das war 1907. Vielleicht ist der Notstand doch eher ein politischer.