Neue Gesetze gehören ins Internet

Gastbeitrag von Dr. Patrick Breyer

„Unwissenheit schützt vor Strafe nicht“, gibt ein altes Sprichwort einen
Grundsatz des Rechts wieder. Man geht davon aus, dass jeder Bürger die
Möglichkeit hat, das ihn betreffende Recht zu kennen. Zumindest diese
Möglichkeit der Kenntnis braucht es, um die Legitimität des Rechts zu
begründen.

Gesetze und Verordnungen werden den Bürgern durch den formalisierten Akt
der Verkündung zur Kenntnis gebracht. Die Verlesung neuer Erlasse auf
dem Marktplatz, wie sie im Mittelalter praktiziert wurde, ist heute
natürlich nicht mehr das erste Mittel der Wahl. Das geschah zu einer
Zeit, als es wenige dieser „Gesetze“ gab und auch die Räume, für die sie
Geltung beanspruchten, noch im wahrsten Sinne des Wortes überschaubar
waren. Noch heute kann aber beispielsweise in Schleswig-Holstein in
kleineren Gemeinden das so genannte Ortsrecht mittels Anschlag an
Bekanntmachungstafeln in Kraft gesetzt werden. Hier soll die Reichweite
des örtlichen Anschlags ausreichen.

Bei Landes-, Bundes- oder gar Europarecht ist ein örtlicher Anschlag
untauglich, um die Bevölkerung zu erreichen. Deshalb wird Bundesrecht im
Bundesgesetzblatt und Landesrecht im Gesetz- und Verordnungsblatt des
Landes verkündet – auf Papier gedruckt, weil es die Verfassung so
verlangt. Diese gedruckten Gesetzblätter landen in Ministerien,
Behörden, einigen Bibliotheken und bei ganz wenigen privaten Abonnenten.
Das Gros der Bevölkerung müsste sich zur nächsten Bibliothek aufmachen,
um dann im Wochentakt neue Gesetze durchzuwühlen – vielleicht ist da ja
ein wichtiges darunter.

Bund und Bundesländer stellten ihre Gesetz- und Verordnungsblätter
bisher meist auch online kostenlos zur Verfügung – Schleswig-Holstein
aber nur bis 2013. Außerdem sind die Blätter teilweise erst Tage nach
Inkrafttreten der verkündeten Gesetze online abrufbar – mit gravierenden
Folgen. So beschloss der schleswig-holsteinische Landtag im Januar 2014
ein Gesetz, demzufolge das gewerbliche Einsammeln von Sperrmüll verboten
wird; Zuwiderhandlungen kosten Geld. Das Gesetz trat „am Tage nach
seiner Verkündung in Kraft“. Doch die Verkündung ist bis heute nicht im
Internet ersichtlich und abrufbar.

Zur rechtsgültigen Verkündung genügt bis heute die gedruckte Ausgabe,
und sei sie auch noch zu unzugänglich. Diesen Anachronismus haben das
Saarland, Bremen und Brandenburg ebenso wie die Europäische Union
klugerweise abgeschafft und verkünden ihre Gesetze elektronisch. Neben
der größeren Anzahl an Empfängern wird dadurch auch Menschen mit
Beeinträchtigung der Zugang zum Recht einfacher oder erst möglich
gemacht, indem beispielsweise sehbeeinträchtigte Menschen Screenreader
verwenden können.

Während ein E-Government-Gesetz des Bundes längst in der Umsetzung
begriffen ist und in Schleswig-Holstein ein Sonderausschuss
Verfassungsreform unter anderem die „Herausforderungen der digitalen
Gesellschaft“ diskutiert, wird unserm Vorschlag als Piratenfraktion,
eine elektronische Verkündung zuzulassen, bislang mit Skepsis begegnet.
Eine unmittelbare Umsetzung der elektronischen Verkündung, wie sie in
immerhin drei Bundesländern schon praktiziert wird, steht dabei noch
nicht einmal im Raum. Es geht um die bloße Möglichkeit, in Zukunft eine
elektronische Verkündung gesetzlich zulassen zu können.

Dass die Piratenfraktion Schleswig-Holstein Lösungen aus dem 21.Jahrhundert für das 21. Jahrhundert vorschlägt, verwundert den kundigen Beobachter nicht. Hoffen wir, dass sich auch die übrigen Fraktionen mit einer Gesetzesverkündung auf dem ‚virtuellen‘ Marktplatz anfreunden können.

Patrick Breyer ist Landtagsabgeordneter in Schleswig-Holstein.