Wer nichts zu verbergen hat, hat auch nichts zu befürchten. Diese vermeintliche Wahrheit greift zu kurz – wenn es um unsere (Grund-)Rechte geht. Überwachung und Kontrolle wirken nämlich nicht nur, wenn jemand tatsächlich als “Verdächtiger” ermittelt wird.
Schon die realistische Befürchtung, wegen etwas auffallen zu können, beschneidet die Rechte des einzelnen spürbar. Wer befürchten muss, wegen eines Verhaltens in ein behördliches Raster zu geraten, wird dieses Verhalten künftig tunlich unterlassen – obwohl genau dieses Verhalten gegen gar kein Gesetz verstößt.
Das ist der sogenannte “Chilling Effect”, den wir spätestens seit der Vorratsdatenspeicherung kennen (und den auch das Bundesverfassungsgericht ernst nimmt). Wenn ich zum Beispiel – und sei es auch noch so entfernt – damit rechnen kann, dass ein Gespräch mit einem Bekannten Komplikationen auslösen kann, weil dieser “Youssuf” heißt, dann rufe ich ihn halt im Zweifel nicht mehr an. Auch wenn Youssuf der liebste Mensch der Welt ist. Aber was weiß ich von seinem in England lebenden Cousin?
Einschüchterung durch Kontrolle – dieser kalte Hauch weht auch durch einen Beschluss, welchen das Oberverwaltungsgericht Lüneburg erlassen hat. Darin erklären es die Richter für zulässig, dass die Polizei die Personalien von Menschen aufnimmt, die rein gar nichts verbrochen haben. Außer, dass sie erlaubterweise Polizisten im Einsatz fotografiert haben, etwa bei Demonstrationen.
Ausgangspunkt war eine Initiative, die sich dagegen wehrt, dass die Polizei in vielen Städten ständig Demonstrationen filmt – obwohl dies häufig rechtswidrig geschieht. Die Betroffenen filmten daraufhin schlicht zurück, was bei der Polizei erwartungsgemäß schlecht ankam. Die Beamten nahmen deshalb die Personalien der Fotografin und eines Begleiters auf.
Nun ist es juristisch mittlerweile klar, dass Polizisten sich im Einsatz filmen lassen müssen. Es gibt keine speziellen Fotografierverbote gegenüber Beamten. Ganz im Gegenteil. Polizisten im Dienst treten als Mitarbeiter des Staates auf, sie repräsentieren die öffentliche Gewalt, und ihr Handeln unterliegt einer entsprechend strengeren Kontrolle – auch durch die Kameras von Menschen, die sich nicht auf die Pressefreiheit berufen können.
Gleichwohl ist es im Regelfall nicht erlaubt, Porträts von Polizisten im Einsatz zu veröffentlichen, diese etwa ins Internet zu stellen. Das untersagen entsprechende Regelungen des Kunsturheberrechtsgesetzes. Im Grundsatz ist das nachvollziehbar – auch Beamte geben ihre Persönlichkeitsrechte nicht an der Spindtüre ab.
Die Richter am OVG Lüneburg halten die Feststellung der Personalien von Menschen, die Polizisten fotografieren, für zulässig. Es bestehe nämlich die Möglichkeit, dass Nahaufnahmen von Beamten veröffentlicht werden. Schon diese “Gefahr” reiche aus, damit die Beamten sich den Ausweis zeigen lassen und die Daten notieren dürfen.
Darin liegt das Gericht aber falsch. Rechtsanwalt Thomas Stadler hat bereits begründet, warum es durchaus Situationen geben kann, in denen die Veröffentlichung solcher Bilder zulässig ist.
Davon unabhängig finde ich es bemerkenswert, wie wenig das Oberverwaltungsgericht Lüneburg auf die Rechte des einzelnen gibt. Für die Richter ist es lediglich eine “vorgeschaltete” und damit völlig harmlose Maßnahme, wenn ein Bürger gegen seinen Willen seine Identität festhalten ( = speichern) lassen muss, obwohl er gar nichts Verbotenes getan hat.
Es wäre schon sinnvoll, wenn sich das Gericht auch mal über den eingangs erwähnten Chilling Effect Gedanken machen würde. So harmlos kommt es nämlich beim Bürger nicht an, wenn er sich erfassen lassen muss für ein Verhalten, an dem grundsätzlich erst mal nichts auszusetzen ist. Der eine oder andere wird herzlich gern darauf verzichten, künftig eben dieses Recht in Anspruch zu nehmen, auf Demonstrationen zurück zu filmen, wenn er allein deswegen in einer Datenbank landen kann.
Aber womöglich ist es ja genau das, was die Richter letztlich wollen. Daraus wiederum kann man als Bürger dann auch seine Schlüsse ziehen – derzeit (hoffentlich) noch ohne Erfassung (Beschluss vom 19. Juni 2013, Aktenzeichen 11 LA 1/13).