In den Abmahnkanzleien herrscht vorweihnachtlicher Hochbetrieb. Tausendfach gehen Schreiben in Filesharing-Fällen raus, in denen noch vor dem Jahresende Klagen angekündigt werden. Grund: Am 1. Januar 2012 werden Urheberrechtsverletzungen aus dem Jahr 2009 verjähren.
Es ist zwar die gefühlt fünfzigste “letzte außergerichtliche Mahnung” in solchen Fällen, aber nun heißt es ja wirklich alles oder nichts. In diese Betriebskamkeit platzt ein Urteil, das den Elan der Abmahner deutlich bremsen dürfte.
Der Bundesgerichtshof hat gestern entschieden, dass Eltern die Computernutzung ihrer Kinder nicht kontrollieren müssen. Vielmehr genügt es, wenn sie den Nachwuchs eindringlich ermahnen, kein urheberrechtlich geschütztes Material aus Tauschbörsen zu ziehen.
Es ging um einen 13-jährigen Jungen, der über den Anschluss seiner Eltern im Netz surfen durfte. Er hatte auch einen eigenen PC. Bei einer Hausdurchsuchung – so was gab es 2007 in Filesharing-Fällen noch – wurden nur auf seinem Computer Tauschbörsenprogramme festgestellt.
Die Rechteinhaber behaupteten das, was sie immer behaupten. Dass nämlich die Eltern für ihr Kind haften und deshalb Schadensersatz leisten und Anwaltskosten für eine Abmahnung übernehmen müssen. Eltern seien nämlich verpflichtet, das Surfverhalten ihrer Kinder genau zu kontrollieren. Außerdem müssten sie durch Firewalls verhindern, dass Kinder selbst Programme installieren.
Genau genommen hatte der Anwalt der Plattenfirma vor dem Bundesgerichtshof sogar noch weitergehende Vorstellungen. Er beklagte sich in der mündlichen Verhandlung über die laxe Erziehung heutzutage und merkte an, früher hätten ein paar Ohrfeigen jedenfalls nicht geschadet.
Der Bundesgerichtshof zeigte sich eher modern. Es genüge bei einem normalen 13-jährigen Kind völlig, Tauschbörsennutzung klar und eindeutig zu verbieten. Nur wenn die Eltern konkrete Anhaltspunkte dafür hätten, dass ihr Kind darauf nicht hört, müssten sie genauer hinschauen.
Das schriftliche Urteil liegt noch nicht vor. Deshalb lässt sich momentan nicht sagen, ob der Bundesgerichtshof die Elternpflichten noch konkreter darstellt. Das Urteil weist allerdings auf jeden Fall in eine ganz klare Richtung: Anschlussinhaber müssen ihren Internetzugang nicht übertrieben abschotten oder Mitnutzern gar hinterher schnüffeln.
Für die Abmahner stellt sich nun ein zusätzliches Problem. Da die Staatsanwaltschaften keine Hausdurchsuchungen mehr in Filesharing-Fällen machen, gibt es ohnehin fast nie konkrete Belege dafür, welches Familienmitglied denn nun Filme oder Musik geladen hat. Wenn Eltern künftig behaupten, das könne eigentlich nur der – sorgfältig belehrte – Nachwuchs gewesen sein, werden die Rechteinhaber kaum das Gegenteil beweisen können…
Beim Bundesgerichtshof sind weitere Klagen anhängig, bei denen es um erwachsene Kinder oder Besucher geht. Nach der gestrigen Entscheidung besteht wohl auch hier Grund zur Hoffnung, dass die Online-Sippenhaft ihre besten Tage hinter sich hat.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 15. November 2012, Aktenzeichen I ZR 74/12