Ein Rechtsanwalt darf den anderen nicht als “Winkeladvokaten” bezeichnen. Dies hat das Oberlandesgericht Köln entschieden. Nach Auffassung der Richter handelt es sich um eine Beleidigung, obwohl der Beklagte seine Äußerung in einem Rechtsstreit gemacht hat, bei dem der Nicht-Winkeladvokat den Prozessgegner vertrat.
Schon das Landgericht Köln hatte den Beklagten zur Unterlassung verurteilt. Die Berufung blieb nun erfolglos. So haben wir ein Urteil mehr, das zum schleichenden Verfall der Meinungsfreiheit in Deutschland beiträgt. Gleichzeitig wird wieder mal deutlich, wie eilfertig und gleichzeitig grundlos Gerichte mittlerweile beleidigten Leberwürsten zur Seite springen.
Das fängt schon damit an, dass der Beklagte niemals geschrieben hat, was ihm jetzt verboten wird. Er hatte in dem Prozess lediglich eine E-Mail an die Rechtsanwaltskammer vorgelegt. Darin kritisierte er, der Kontrahent gestalte den Außenauftritt seiner Kanzlei widersprüchlich. Mal trete er als Sozietät auf, dann wieder nur als Kooperation. Es sei da wohl nicht unsachlich, “eine solche geschickte Verpackung der eigenen Kanzlei … als ,Winkeladvokatur’ zu bezeichnen”.
Die Kölner Gerichte betrachten diese Formulierung kurzerhand als identisch mit der direkten Aussage, der betreffende Anwalt sei ein Winkeladvokat. Deshalb verbieten sie dem Beklagten auch ausdrücklich, seinen Gegner künftig “Winkeladvokat” zu nennen.
Dies widerspricht dem bislang geltenden Grundsatz, dass Unterlassung nur für das verlangt werden kann, was tatsächlich gesagt wurde. Die Gerichte erteilen also Unterlassungsrechtsschutz für künftige, denkbare Handlungen. Sie erweitern damit en passant ihren eigenen Spielraum. Und zwar dahingehend, dass noch mehr ausgelegt und hineingelesen werden kann – bis es dann schon passt. Eine bedenkliche Entwicklung.
Gravierender ist aber, mit welcher Leichtigkeit die Richter darüber hinweggehen, dass die Äußerungen in einem Rechtsstreit vorkamen. Ein Prozess ist seit jeher ein Forum, in dem Etikette zwar wünschenswert, aber schon der Ausgangslage her nicht immer durchzuhalten ist.
Vor Gericht stehen sich Interessen nun mal konträr gegenüber, und Rhetorik ist ein zulässiges Instrument der juristischen Auseinandersetzung. Deshalb sagt das Bundesverfassungsgericht auch in ständiger Rechtsprechung, dass vor Gericht Dinge noch durchgehen müssen, die außerhalb vielleicht schon ehrenrührig wären. Mit anderen Worten: Zu den Aufgaben von Anwälten gehört es auch, bei der Arbeit ein etwas dickeres Fell zu haben.
Überdies ist es in dem Fall noch nicht mal so, dass der Beklagte seine Äußerung ohne sachlichen Bezug gemacht hat. Nein, sie fiel eindeutig im Rahmen einer konkreten Kritik an der Selbstdarstellung seines Kontrahenten. Auch wenn das vielleicht mit dem eigentlichen Thema des Rechtsstreits nichts zu tun hatte, völlig unbegründet war die Verärgerung des Anwalts jedenfalls nicht. Es bestand auch noch ein sachlicher Bezug, da die Frage Sozietät / Kooperation sich durchaus auf die Vollmacht des anderen Anwalts auswirken konnte.
Bedenklich ist auch, wie einseitig das Oberlandesgericht Köln den Begriff des Winkeladvokaen auslegt:
Unter einem Winkeladvokat ist jedenfalls derjenige zu verstehen, der eine Sache entsprechend seinem Berufsstand nicht verantwortungsbewusst zu vertreten befähigt ist. Dies bedeutet, dass damit ein Rechtsanwalt gemeint ist, der eine mangelnde fachliche Eignung aufweist und dessen Zuverlässigkeit zweifelhaft ist.
Ferner ist darunter derjenige zu verstehen, der sich zwar noch im Rahmen des geltenden Rechts bewegt, aber dessen Grenzen in bedenklichem Maße austestet. Ein so bezeichneter Rechtsanwalt verhält sich dabei nicht nur in zulässiger Weise taktisch, sondern legt eine Verhaltensweise an den Tag, die „hart an der Grenze“ ist, um für seinen Mandanten etwas „herauszuholen“.
Dabei ist dem Rechtsanwalt jeder „Winkelzug“ recht, um das für seinen Mandanten günstige Ergebnis zu erreichen. Es geht also um den „gerissenen“ Rechtsanwalt, der bereit ist, sich bei der Berufsausübung über Vorschriften hinwegzusetzen und Recht zu verbiegen, wenn ihm dies zum eigenen Vorteil verhilft.
Ob den Richtern bewusst ist, wie oft sie sich alleine in diesen kurzen Absätzen widersprechen? Ist der Winkeladvokat nun der gerissene Taktiker? Oder jemand, der fachlich gar keine Ahnung hat? Geht er “hart an die Grenze” (was Mandanten üblicherweise und zu Recht von einem Anwalt erwarten)? Oder überschreitet er die Grenzen, in dem er sich über Vorschriften hinwegsetzt und Rechts verbiegt?
Solche argumentativen Schieflagen entstehen eben, wenn man bestrebt ist, Äußerungen immer nur nach dem denkbar negativsten Gehalt abzuklopfen. Richtiger wäre nach meiner Meinung gewesen, dass die nicht im luftleeren Raum gefallene Äußerung von der “Winkeladvokatur” etwas ist, was ein Prozessanwalt überleben können sollte.
Wir dürfen gespannt sein, was das Bundesverfassungsgericht dazu sagt.
Internet-Law zum gleichen Thema / OG Köln, Urteil vom 18. Juli 2012, Aktenzeichen 16 U 184/11