Was bei der Eurorettung schon lange kritisiert wird, ist anscheinend auch ein beliebtes Mittel bei anderen Gesetzesvorhaben: In letzter Minute kriegt der Gesetzentwurf eine andere Fassung – und der Inhalt verkehrt sich mitunter in sein Gegenteil. Genau das ist am vergangenen Freitag im Bundestag bei einem heiklen Datenschutzthema geschehen. Obwohl es vorher anderes geplant war, dürfen Meldeämter bald die Daten aller Bürger verkaufen. Betroffene, also wir alle, können zwar widersprechen. Es hilft nur nichts.
Es geht um einen eher sperrigen Sachverhalt. Der Bund will ein Melderrechtsrahmengesetz in Kraft setzen. Damit sollen die Meldepflichten, die bisher Ländersache sind, einheitlich geregelt werden. Unter anderem ist vorgesehen, dass für eine Anmeldung wieder eine Vermieterbestätigung erforderlich ist. Damit soll offiziell die Begründung von Scheinwohnsitzen verhindert werden. Tausende Eltern sollen sich zum Beispiel fiktiv für Wohnungen in anderen Stadtteilen oder Orten angemeldet haben, um ihren Kindern einen Platz in der Wunsch-Schule zu beschaffen.
Zufälligerweise ist diese Regelung aber auch ein Anliegen der GEZ. Die Rundfunkgebühren werden bald nach Haushalten und nicht mehr nach Personen berechnet. Da stellt sich die Frage, wer denn konkret Zahlungspflichtiger ist, also tatsächlich an der Adresse wohnt und damit zum Haushalt gehört. Das lässt sich natürlich am einfachsten belegen, wenn Informationen zum Mietverhältnis vorlegen. Die Vermieterbestätigung, auf die nun etliche Jahre verzichtet wurde, liefert genau diese Daten.
Noch viel problematischer ist jedoch die Art und Weise, wie künftig mit Meldedaten umgegangen werden soll. Der ursprüngliche Gesetzentwurf sah vor, dass die beim Einwohnermeldeamt gespeicherten Daten nur für amtliche Zwecke verwendet werden dürfen. Der Verkauf an Werbefirmen oder Adresshändler sollte grundsätzlich nur mit vorheriger Zustimmung des Bürgers möglich sein.
Auskünfte an Dritte wären nach dem Entwurf ohnehin nur zulässig gewesen, wenn der Anfragende versichert, die Daten gerade nicht für Werbung oder den Adresshandel zu verwenden. Der Bürger hätte sich also gegen die illegale Verwendung seiner Daten wehren können. Unternehmen, die sich nicht an die Zusicherung halten, hätten außerdem das Datenschutzgesetz verletzt, was eine Straftat sein kann.
Im Gesetz, das der Bundestag letzten Freitag passieren ließ, steht faktisch das Gegenteil. Plötzlich sind die Meldedaten nicht automatisch gesperrt, sondern der Bürger muss ausdrücklich Widerspruch einlegen. Der Wortlaut:
Es ist verboten, Daten aus einer Melderegisterauskunft zu Zwecken der Werbung oder des Adresshandels zu verwenden, … wenn die betroffene Person gegen die Übermittlung für jeweils diesen Zweck Widerspruch eingelegt hat.
Ohne aktiven Widerspruch, der sich sogar noch auf die konkreten Verwendungsformen der Daten beziehen muss, haben die Meldeämter also das Recht, alle gespeicherten Daten der Betroffenen zu verkaufen – Werbung und Adresshandel eingeschlossen.
Damit nicht genug. Selbst wenn sich jemand die Mühe macht, den Widerspruch zu erklären, hat dieser praktisch keine Wirkung. Das Gesetz formuliert es direkt im Anschluss an das obige Zitat so:
Dies gilt nicht, wenn die Daten ausschließlich zur Bestätigung oder Berichtigung bereits vorhandener Daten verwendet werden.
Anfragen bei Meldeämtern beruhen logischerweise immer auf bereits vorhandenen Daten. Eine Firma kann sich ja schlecht nach dem Wohnsitz oder Familienstand von Max Mustermann erkundigen, wenn sie keine Daten zu Max Mustermann hat.
Schon der Name und eine Anschrift von Max Mustermann reichen also aus, um an die gewünschten Informationen zu kommen. Entweder bestätigt das Meldeamt, Max Mustermann wohnt noch an der genannten Adresse. Oder es berichtigt die Daten und teilt mit, wo Max Mustermann jetzt angemeldet ist. Gleiches gilt für den Familienstand und andere Daten. Es genügt völlig, fiktiv irgendwas anzufragen. Im Zweifel wird eben berichtigt.
Der Nachsatz hebelt das Widerspruchsrecht der Bürger nachhaltig aus. Man hätte das Widerrufsrecht also gleich weglassen können – aber das wäre ja möglicherweise doch aufgefallen. Die Formulierung ist, harmlos gesagt, eine Frechheit, weil sie Datenschutz vorgaukelt, wo dieser absichtlich ausgehebelt wird. Man könnte auch von aktiver Wählertäuschung sprechen, sozusagen von gesetzgeberischer Infamie. Der kleine Trick mit großer Wirkung ist jedenfalls ein augenfälliges Beispiel dafür, warum das Vertrauen in die Seriösität von Politikern stetig schwindet.
Nach dem jetzt verabschiedeten Gesetz haben Kommunen die Möglichkeit, großflächig in den Adresshandel einzusteigen.Adresshändler sowie Werbewirtschaft können sich sogar noch ungehemmter an unseren Daten bedienen, als dies nach jetzigem Recht der Fall ist. Allerdings ist die Geldquelle noch nicht abschließend erschlossen. Der Bundesrat muss dem Gesetz noch zustimmen. Die Abstimmung soll im September sein.
Vielleicht wacht ja bis dahin jemand auf.