Ein Radiosender hat mich heute morgen gefragt, wieso sich Rechtsanwälte finden, die einen Menschen wie Anders Breivik verteidigen. Oder den Mörder eines Kindes. Ich habe ein bisschen so getan, als würde ich die Frage nicht verstehen. “Ein Chirurg im Notdienst”, erwiderte ich, “darf doch auch nicht die Operation eines Schwerverletzten ablehnen, bloß weil der vielleicht ein Verbrecher ist.”
Und so ist es tatsächlich. Der Verteidiger füllt eine ihm zugedachte Rolle im Justiztheater aus. Er ist derjenige, der auf der Seite des Beschuldigten steht. Diese Person hat der Beschuldigte auch nötig. Polizei, Staatsanwaltschaft und Gericht suchen pflichtgemäß nach der Wahrheit. Sie unterstützen den Beschuldigten aber nicht, sondern stehen ihm – im besten Fall – neutral gegenüber. Sehr häufig ist dieser Idealzustand, in Form gelebten Respekts vor der Unschuldsvermutung, natürlich weit entfernt. Dann spielen vorgefasste Meinungen und Ressentiments mit.
Der Druck auf einen Beschuldigten ist aber schon groß genug, selbst wenn Strafverfolger und Gericht Fair Play betreiben. Viele Menschen werden durch eine Festnahme in einen Schockzustand versetzt. Sie spüren die Angst vor dem Verlust der Existenz, die Furcht vor Untersuchungshaft und Strafe. Es zeichnet den Rechtsstaat aus, dass er den Beschuldigten in so einer elenden Situation nicht alleine lässt. Er darf sich einen Verteidiger aussuchen. Oder kriegt ihn gestellt. Damit hat er wenigstens eine Person an seiner Seite, die nur eine Pflicht hat – mit allen legalen Mitteln dafür zu sorgen, dass die Interessen und Rechte des Beschuldigten gewahrt werden.
Wenn man dies im Auge behält, kann man vielleicht auch verstehen, wieso Strafverteidiger ohne großes Zögern Aufträge auch von Mördern, Vergewaltigern und Kindesmissbrauchern annehmen oder sich vom Gericht als Pflichtverteidiger benennen lassen. Sie sind sozusagen notwendige Lobbyisten, wenn der Rechtsstaat funktionieren soll.
Das alles bedeutet natürlich nicht, dass ein Verteidiger keine private Meinung zu seinen aktuellen Fällen und besonders zu seinen Mandanten haben darf. Allerdings ist es seine Pflicht und Schuldigkeit, sein professionelles Handeln nicht durch diese Meinung trüben zu lassen. Was natürlich auch einschließt, dass ein Verteidiger schlichtweg nichts nach außen kommunizieren darf, was seinem Mandanten schaden kann. Jedenfalls so lange nicht, wie es der Mandant nicht selbst verlangt.
Vielleicht liegt es daran, dass seriös arbeitende Anwälte schnell den Eindruck machen, sie stünden trotz anderweitiger Beweislage aus persönlicher Überzeugung hinter dem Auftraggeber. Dass sie wie herzlose Gesellen oder/und Idioten wirken, müssen sie dabei in Kauf nehmen.
Wenn mir manchmal innerlich vor gewissen Dingen graut, denke ich an den Chirurgen im Notfalldienst. Der kann seine Patienten auch nicht im Regen stehen lassen. Dann geht es schon.