Vorzugsbehandlung

Womöglich wird man bald Post von Christian Wulffs Anwalt erhalten, wenn man mit Blick auf den heutigen Tag in Großburgwedel das Wort Hausdurchsuchung in den Mund nimmt. Denn offenbar versuchen alle Seiten geradezu krampfhaft, das Unvermeidliche nicht mit einer richterlich angeordneten Zwangsmaßnahme zu verbinden. Trotzdem passierte heute nachmittag  etwas: Freundliche Ermittler besuchten ohne Durchsuchungsbeschluss die Wulffs zu Hause und erhielten nach Medienberichten freiwillig Dokumente, Computer und Festplatten ausgehändigt.

Ein Durchsuchungsbeschluss sei nicht nötig gewesen, heißt es in den bisherigen Eilmeldungen. Danach waren die Visite der Ermittler und damit wohl auch ihre Befugnisse nicht nur abgesprochen, sondern es wurde alles auch terminlich flexibel gehandhabt – fast so wie ein Meeting in Geschäftskreisen. Eigentlich habe man sich sogar schon gestern in Wulffs Haus treffen wollen, die Sache dann aber wegen großen Medienauflaufs auf heute verschoben. Wulff habe sich komplett kooperativ gezeigt.

Als Strafverteidiger bin ich hellauf begeistert von so viel behördlichem Fingerspitzengefühl. Hier wird dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz einmal in höchstem Maße Genüge getan. Und es wird vor allem respektiert, dass ein Beschuldigter auch freiwillig das gesuchte Material herausgeben kann, um eine Durchsuchung abzuwenden.

Nachdenklich stimmt mich nur, dass diese Rücksichtnahme ausgerechnet gegenüber einem Mann geübt wird, der mal die Nr. 1 im Lande Niedersachsen war. An einen Zufall kann ich da nicht so recht glauben, dafür ist das Verhalten der Staatsanwaltschaft Hannover doch zu weichgespült. Selbst wenn man berücksichtigt, dass der Beschuldigte schon längere Zeit von Ermittlungen weiß. Denn das tun andere sehr häufig auch.

Die tägliche Praxis, auch in Wirtschaftsverfahren, sieht jedenfalls anders, als es die Gentlemen unter den Strafverfolgern jetzt demonstrieren. Da lässt es sich praktisch kein Staatsanwalt nehmen, unangekündigt in Privaträumen und Büros des Beschuldigten nach Beweismitteln zu suchen. Und das nach Möglichkeit unter Ausnutzung des gerade noch möglichen Überraschungseffekts. Was heißt, die Aktion findet auch dann um halb sieben Uhr morgens statt, selbst wenn der Betroffene eben nicht ahnungslos ist.

Auf einen richterlichen Beschluss wird schon gar nicht verzichtet. Man stelle sich nur mal vor, der Beschuldigte schaltet während des Besuchs auf Verweigerung und verweist die Ermittler des Hauses. Auf Gefahr im Verzuge werden diese sich dann nicht berufen können. Sie hatten ja genug Zeit, sich einen Beschluss zu besorgen…

Vor allem lassen sich Ermittler normalerweise auch nicht so lange Zeit. Wulffs Rücktritt liegt jetzt schon mehr als zwei Wochen zurück. Seitdem hatten die Ermittler die Möglichkeit, bei ihm vorbeizuschauen. Das ist ein fast absurd langer Zeitraum. Schon deswegen, weil auch bei einem Bundespräsidenten a.D. nun mal nicht ausgeschlossen werden kann, dass er Dokumente frisiert oder verschwinden lässt.

Es ist also kaum damit zu rechnen, dass die Wulffsche Vorzugsbehandlung, nennen wir sie mal Ehren-Hausdurchsuchung, demnächst auch dem einfachen Volk zu Gute kommt. Um so trauriger, dass er sie erfährt.

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