Vor dem Gerichtssaal stapelten sich die Medien-Vertreter mit ihrem schweren Gerät. Die Presse wollte über einen Prozeßauftakt berichten, der weit über die Grenzen der Hansestadt hinaus erwartet wurde. Es kam jedoch anders als geplant.
Ein 33 Jahre alter Angeklagter erschien nicht vor Gericht, deshalb musste die Verhandlung gleich zu Beginn auf Mittwoch verschoben werden. Ihn habe die Ladung nicht erreicht, weil er gerade auf Norderney arbeite und seine Post dorthin nicht weitergeleitet werde, ließ der Angeklagte über seinen Anwalt erklären. „Er ist aus allen Wolken gefallen“, fügte sein Verteidiger hinzu. Nun hoffen alle Beteiligten, dass der Angeklagte beim nächsten Termin erscheint.
So lautete ein Bericht zum Prozeß-Auftakt. Ich kann die Enttäuschung verstehen, wenn die Medienvertreter die Show nicht geliefert bekommen, die sie erwartet haben.
Enttäuschend ist aber auch die mangelhafte Berichterstattung. Es ist keineswegs so, daß der Angeklagte hier irgendwas verschlafen hätte. Im Gegenteil: Vor einiger Zeit schon hatte er den Ermittlungsbehörden mitgeteilt, wo er ab Oktober zu erreichen sei. Er hatte nämlich einen neuen Job auf der Insel bekommen; auch das war den Ermittlern bekannt. Aber eben auch nur den Ermittlern. Und nicht dem Gericht, das die Ladung zum Termin verschickt hatte. Das wurde von den Ermittlern nicht informiert.
Was passiert, wenn ein Angeklagter einer Ladung des Gerichts nicht folgt? Es setzt ein Reflex ein. Der 230er-Reflex: Der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft beantragt den Erlaß eines Haftbefehls und bezieht sich auf § 230 Abs. 2 StPO. Wenn er gute Laune hat, beantragt der Staatsanwalt auch nur die Vorführung. Hat er in der Nacht vorher schlecht geschlafen, träumt er jetzt von einem flüchtigen Angeklagten und ihm erscheint § 112 Abs. 2 Nr. 1 u. 2 StPO vor seinem inneren Auge.
In allen Fällen muß der – ausgebliebene – Anklagte mit behördlichem Besuch und anschließender Begleitung in eine schmucklose Unterkunft rechnen. Warum er ausgeblieben ist, wird dann im Anschluß und in Ruhe noch genauer geprüft. Das muß ja nicht in der Hektik des geplatzten Termins geschehen.
Hier hatte der Angeklagte aber Glück. Mit dem Staatsanwalt. Der war nämlich gut gelaunt und ausgeschlafen. Er erinnerte sich daran, daß der Angeklagte von seinem beruflich bedingten Ortswechsel berichtet hatte. Und statt den 230er-Antrag zu stellen, teilte er dies dann – gerade noch rechtzeitig – auch dem Gericht mit. Und entschuldigte sich für den unterbrochenen Informationsfluß.
Der Angeklagte wurde nun erneut geladen und erschien selbstverständlich zum nächsten Termin – ohne behördliche Begleitung. Allerdings war ihm nun die Ladung erst zwei Tage vor dem Termin zugestellt worden. Damit war die Ladungsfrist des § 217 StPO nicht eingehalten.
Der Prozeß startete aber trotzdem. Weil der Angeklagte auf die Einhaltung der Ladungsfrist verzichtete. Darüber liest man in den Medien allerdings nichts. Deswegen schreibt das jetzt hier …
… der Aushilfsblogger