Deutschland ist Netzsperren wieder einen Schritt näher gekommen. Die Regierungspräsidenten der Länder – mit Ausnahme Schleswig-Holsteins – drücken aufs Gaspedal, um künftig Internetseiten in Deutschland per behördlicher Anordnung “abschalten” zu können. Sie haben nun den Entwurf des Glücksspielstaatsvertrages offiziell bei der EU-Kommission notifiziert. Federführend in diesem Verfahren ist die Staatskanzlei von Sachsen-Anhalt. Die Ministerpräsidenten sehen somit offensichtlich keine Notwendigkeit, auf die deutliche Kritik zu reagieren, die in den letzten zwei Wochen nach Bekanntwerden der Pläne für Internetsperren geäußert wurde.
Die Europäische Kommission hat den Eingang des Dokuments bereits bestätigt und die Vorgangsnummer 2011/188 /D vergeben. Nun läuft die dreimonatige Prüfungsfrist der EU-Kommission; diese hat den Notifizierungstext auch bereits online gestellt.
Die nach Brüssel geschickte Zusammenfassung der Gesetzespläne enthält keinen Hinweis auf die geplanten Netzsperren. Stattdessen hat man es vorgezogen, in der Zusammenfassung die “zukünftige Öffnung des Internets” als Ziel zu proklamieren.
Die begleitenden Dokumente an die EU-Kommission enthalten exakt die umstrittenen Regelungen, welche die Ministerpräsidenten auf ihrer letzten Sondersitzung am 10. März beschlossen haben. Auch in einem aktuellen Vertragsentwurf (Stand: 14. April) hat sich an der Einführung von Netzsperren nichts geändert. Diese sollen über folgende Regelung gestattet werden:
Die zuständige Behörde des jeweiligen Landes kann … insbesondere Diensteanbietern im Sinne des Telemediengesetzes, insbesondere Zugangsprovidern und Registraren, nach vorheriger Bekanntgabe unerlaubter Glücksspielangebote die Mitwirkung am Zugang zu den unerlaubten Glücksspielangeboten untersagen. Das Grundrecht des Fernmeldegeheimnisses wird insoweit eingeschränkt (§ 9 Abs. 1 Ziff. 4).
Hierdurch verschaffen sich die Länder eben jene Möglichkeiten für Netzsperren, welche auf Bundesebene kürzlich sogar dem Bundeskriminalamt im Kampf gegen Kinderpornografie versagt worden sind. Die christlich-liberale Koalition hatte das Zugangserschwerungsgesetz nach langer Debatte als untauglich verworfen; es soll nun aufgehoben werden.
Kritiker halten Netzsperren für gefährlich. Hierdurch entstehe eine Infrastruktur, die normalerweise nur Diktaturen zu Gesicht steht. Könnten Provider auf Zuruf verpflichtet werden, Teile des Internets für deutsche Nutzer abzuschalten, werde dies früher oder später auch aus anderen Gründen geschehen. Die Musik- und Filmindustrie etwa fordert schon länger staatliche Eingriffe, um Filesharingseiten zu blockieren.
Die geplanten Netzsperren gegen Glücksspielangebote sind sogar ein Beispiel hierfür. Zunächst hatten Politiker nämlich allseits versichert, diese Form der Internetzensur komme allenfalls gegen Kinderpornografie in Betracht. Daran will man sich jetzt offenbar nicht mehr erinnern.