In Berlin beerdigte letzte Woche die christlich-liberale Koalition eine Erblast. Sie verabschiedete sich von Netzsperren im Kampf gegen Kinderpornografie. Letztlich siegte in Berlin die Einsicht, Löschen ist besser als Sperren. Eine gewichtige Rolle spielte wohl auch die Überlegung, dass wir mit der geplanten Sperrinfrastruktur eine Technik eingesetzt hätte, der sich bislang nur Länder wie China und Iran bedienen.
An anderen, den Ministerpräsidenten der Länder nämlich, scheinen diese Erkenntnisse abzuperlen. Aber vielleicht hoffen sie auch nur, dass beim Gekungel um Staatsverträge, das tradtionell hinter verschlossenen Türen stattfindet, die Öffentlichkeit weniger genau hinschaut – obwohl die Länderchefs es seit dem Debakel um den Jugendmedienschutzsstaatsvertrag eigentlich besser wissen müssten.
Netzsperren soll es nach dem Willen der Ministerpräsidenten schon sehr bald geben. Die Politiker wollen den Deutschen den Onlinezugang zu “illegalen” Glücksspielangebeoten kappen, indem sie das Fernmeldegeheimnis einschränken. Damit sollen Provider künftig verpflichtet werden, auf Zuruf staatlicher Stellen “unerlaubte Glücksspielangebote” für das deutsche Internet zu blockieren. Diese Maßnahmen ergeben sich sich aus dem aktuellsten Entwurf des Glücksspielstaatsvertrages (Stand: 4. April 2011), der mir vorliegt.
Schon an der Selbstverständlichkeit, mit der die Ministerpräsidenten Netzsperren für Glücksspielseiten verhängen wollen, zeigt sich die Ehrlichkeit der Entscheidungsträger. Nicht wenige von denen, die jetzt hinter verschlossener Tür am Glücksspielstaatsvertrag feilen, haben in der Diskussion um Stoppschilder versichert, so etwas sei überhaupt nur bei Kinderpornografie denkbar. Keinesfalls würde die Internetzensur auf andere Gebiete ausgeweitet, schon gar nicht aus sozialpolitischen (Suchtprävention) oder fiskalischen Gründen (Sicherung der Lottereinnahmen für den Staat).
Lügner.
Nach dem aktuellsten Entwurf, der wohl auch zur Abstimmung gestellt wird, sollen die Maßnahmen wie folgt eingeführt werden:
Die zuständige Behörde des jeweiligen Landes kann … insbesondere Diensteanbietern im Sinne des Telemediengesetzes, insbesondere Zugangsprovidern und Registraren, nach vorheriger Bekanntgabe unerlaubter Glücksspielangebote die Mitwirkung am Zugang zu den unerlaubten Glücksspielangeboten untersagen. Das Grundrecht des Fernmeldegeheimnisses wird insoweit eingeschränkt (§ 9 Abs. 1 Ziff. 4).
Tritt diese Regelung in Kraft, erhalten Behörden erstmals in Deutschland die Möglichkeit, missliebige Seiten durch bloßen Anweisung an die Provider aus dem deutschen Internet verschwinden zu lassen.
Gut, könnte man sagen, immerhin werden betroffenen Seitenbetreiber doch erst mal Widerspruch einlegen und klagen können. Das dürfen sie, aber an der sofortigen Sperrverpflichtung ändert sich nichts. Denn, auch das steht im Entwurf, “Widerspruch und Klage gegen diese Anordnungen haben keine aufschiebende Wirkung”. Was nichts anderes bedeutet, als dass die Sperren sofort wirksam werden und erst dann wieder aufgehoben werden, wenn ein Gericht sie aufhebt. Was mitunter monate-, wenn nicht jahrelang dauern kann.
Wie die Provider den “Zugang” zu Internetseiten untersagen sollen, ist im Entwurf des Vertrages nicht geregelt. Es kommen also all jene Verfahren in Betracht, die auch beim Zugangserschwerungsgesetz gegen Kinderpornografie im Gespräch waren. Die Palette reicht somit von Stoppschildern bis zur Sperrung ganzer IP-Adressenbereiche.
Offenbar sind massive Sperrungen geplant. Der federführende Staatssekretär Rainer Robra aus Sachsen-Anhalt hat nach Berichten geäußert, es könnten bis zu 90 % der in Deutschland erreichbaren Glücksspielangebote geblockt werden.
Die meisten Angebote sind in ihren Heimatländern legal. Bei uns sind sie nur unzulässig, weil sich der Staat an sein Glücksspielmonopol klammert und – offensichtlich um jeden Preis – nicht mal teilweise auf Lotterieeinnahmen verzichten will. Schon wegen der aus ausländischer Sicht absurd strengen deutschen Rechtslage ist nicht damit zu rechnen, dass ein Anbieter seine Seite freiwillig in Deutschland unzugänglich macht. Glücksspielangebote machen einen beträchtlichen Teil des Internets aus. Es dürfte sich also um abertausende Seiten handeln, welche die Behörden in Deutschland blocken wollen. Die hierfür aufzubauende Infrastruktur dürfte weitaus mächtiger und dementsprechend fehleranfälliger ausfallen, als es bei den auf Kinderpornografie beschränkten Sperren der Fall gewesen wäre.
Zum Entwurf des Glücksspielstaatsvertrages gehört ein Diskussionspapier, “Eckpunkte” genannt. Überraschenderweise findet sich hierin kein Wort zu den einschneidenden Plänen. Entweder sind sich die Ministerpräsidenten also zutiefst einig über die Einführung einer Internetzensur. Nicht ganz von der Hand zu weisen dürfte aber auch die Möglichkeit sein, dass man die Öffentlichkeit nach Verabschiedung des Vertrags einfach vor vollendete Tatsachen stellen wollte.
Für die Glücksspiel-Sperren sollen künftig die Länderbehörden zuständig sein. Der Entwurf sieht lediglich die Möglichkeit vor, dass sich Länder gegenseitig zur Anordnung der Sperren ermächtigen dürfen. Ob und inwieweit davon Gebrauch gemacht wird, ist offen.
Auch dies ist ein wesentlicher Unterschied zum Zugangserschwerungesetz. Hier liefen alle Zuständigkeiten beim Bundeskriminalamt zusammen. Künftig wird es also 16 (!) Behörden geben, die in eigener Regie Internetzensur betreiben können.
Websperren sind übrigens nicht das einzige Mittel, das sich die Ministerpräsidenten ausgeguckt haben. Der Vertragsentwurf sieht auch vor, dass Banken und Kreditkartenfirmen auf Zuruf die Weiterleitung von Zahlungen verboten wird. Dies gilt ausdrücklich nicht nur für Wetteinsätze, sondern auch für Gewinne.