Ist es bei Straßenverkehrsdelikten erforderlich, dass ein Richter die Blutprobe anordnet? Darüber wird gerade heftig diskutiert. Fakt ist aber: Noch steht der Richtervorbehalt im Gesetz. Staatsanwalt oder Polizei dürfen die Blutprobe nur bei „Gefahr im Verzuge“ anordnen.
Wann ist Gefahr im Verzuge gegeben? Dazu sind in letzter Zeit viele Urteile ergangen. Sie weichen im Ergebnis durchaus voneinander ab. Einige Punkte sind jedoch klar. Gefahr im Verzug liegt nie vor, wenn die Blutprobe zu einer Tageszeit angeordnet wird, zu der man einen Ermittlungsrichter problemlos erreichen kann.
Das scheint Mitarbeitern einer Polizeibehörde in Nordrhein-Westfalen schlichtweg nicht bekannt zu sein. Dummerweise aber auch nicht dem zuständigen Staatsanwalt. Diese durchaus bemerkenswerte Kombination an Unwissenheit und/oder Unlust führte zu einer Vergewaltigung der Strafprozessordnung, wie selbst ich sie schon lange nicht mehr erlebt habe.
Es war ein normaler Donnerstag. Um 13.38 Uhr geriet mein Mandant in Verdacht, alkoholisiert Auto gefahren zu sein. Eine Zeugin hatte ihn angezeigt. Zwei Streifenwagen sausten los, trafen meinen Mandanten in seiner Wohnung an. Nach einiger Diskussion musste mein Mandant mit zur Wache. Dort riefen die Polizeibeamten den zuständigen Staatsanwalt an. Nach dem Gespräch vermerken sie, der Staatsanwalt habe die Blutprobe angeordnet.
Da kein Polizeiarzt aufzutreiben war, wurde mein Mandant ins Krankenhaus gebracht. Dort verweigerte er die Blutprobe mit dem Hinweis, die Polizei dürfe die Blutprobe nicht anordnen. Der Polizeibeamte erklärte ihm hierauf, er müsse die Blutprobe dulden, denn, so heißt es in der Strafanzeige, der Staatsanwalt habe die Blutprobe angeordnet.
Mein Mandant weigerte sich weiter. Statt mal darüber nachzudenken, warum er das tut, forderten die Beamten Verstärkung an. Sie „fixierten“ meinen Mandanten mit Gewalt auf einer stählernen Liege. Der Krankenhausarzt entnahm die Blutprobe.
Mit einem Richter hat niemand gesprochen – obwohl mein Mandant die Polizisten ja nun weiß Gott drauf gestoßen hat. Es gab noch nicht mal den Versuch, einen Richter zu erreichen. Obwohl der Ort zum Einzugsbereich eines der größten Amtsgerichte in Nordrhein-Westfalen gehört. An diesem Gericht sind jeden Werktag mindestens zwei Ermittlungsrichter im Einsatz. Das weiß ich aus eigener Erfahrung.
Dass Polizeibeamte sich nicht um die Rechtslage scheren, muss einen nicht wundern. Zu eingefahren scheint noch die jahrzehntelange, dann aber vom Bundesverfassungsgericht gestoppte Praxis, bei jeder vermeintlichen Alkoholfahrt „Gefahr im Verzuge“ zu bejahen. Dass sich da so mancher Beamte angestammte Kompetenzen nicht nehmen lassen will, mag ein natürlicher Reflex sein. Zumal er gleichzeitig auf Arbeitsvermeidung gerichtet ist.
Aber schon hier balanciert die Polizei auf dem Drahtseil. Es gibt Urteile, die ein komplettes Beweisverwertungsverbot jedenfalls annehmen, wenn der Richtervorbehalt nicht in – aus Unwissen gespeistem – gutem Glauben ausgehebelt wird. Sondern „willkürlich“.
Diese Willkür liegt im vorliegenden Fall allerdings weniger bei der Polizei. Unbegreiflich ist an sich eher die Attitüde des Staatsanwalts, der die Blutprobe mal so einfach anordnet, statt pflichtgemäß den Richter zu fragen. Unkenntnis wird man einer Person in dieser Stellung ja wohl kaum unterstellen können. Obwohl das fast noch der schmeichelhafteste Erklärungsansatz wäre. Neben einer Scheißegal-Haltung gegenüber dem Gesetz. Oder Allmachtsfantasien.
Brisant wird die Sache dadurch, dass meinem Mandanten ja nicht nur die Alkoholfahrt zur Last gelegt wird. Die Polizei hat es sich natürlich nicht nehmen lassen, ihn auch wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte anzuzeigen. Der Widerstand ist aber dann nicht strafbar, wenn die Handlungen der Polizeibeamten selbst rechtswidrig waren.
Darüber werden wir jetzt mal ganz intensiv diskutieren.