Ich lehne mich aus dem Fenster. Wenn es stimmt, was Gisela Friedrichsen über den heutigen Prozesstag gegen Jörg Kachelmann für Spiegel online aufgeschrieben hat, wird diese Strafkammer kein Urteil über den Fernsehmoderator fällen. Sie ist befangen, und das wird nun auch festgestellt werden.
Den letzten, allerdings bei weitem nicht einzigen Beleg für seine Voreingenommenheit lieferte das Gericht heute, als es eine Belehrung der Nebenklägerin über ihr besonderes Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 Strafprozessordnung nicht für nötig hielt – obwohl die Verteidigung dies ausdrücklich beantragte.
Dabei geht es um Folgendes: Jeder Zeuge darf, auch wenn er grundsätzlich zur Aussage verpflichtet ist, die Antwort auf bestimmte Fragen verweigern. Und zwar auf solche, bei denen die Gefahr besteht, dass er damit Grund liefert, gegen ihn ein Ermittlungsverfahren zu eröffnen oder im Rahmen eines laufenden Verfahrens Munition gegen sich zu liefern.
Der Nebenklägerin, die Kachelmann vergewaltigt haben soll, sind bereits unwahre Aussagen nachgewiesen worden, zum Beispiel zu der Frage, wann sie von Kachelmanns weiteren Freundinnen erfahren hat. Sie hat wohl auch selbst zugegeben, in Teilbereichen zunächst falsch ausgesagt zu haben. Darüber steht natürlich die weitaus größere Möglichkeit, dass die Nebenklägerin die Vergewaltigung insgesamt erfunden hat. Kachelmann wurde auch deshalb aus der Untersuchungshaft entlassen, weil das Oberlandesgericht die Aussagen der Frau für wenig stichhaltig hielt.
Jedes Wort, das die Zeugen also sagt, kann für sie strafrechtlichen Ärger bedeuten. Um so wichtiger, dass ihr das Gericht vor der Aussage erklärt, wie sie diesen Ärger vermeiden kann. Um so unverständlicher, wieso das Landgericht Mannheim meint, ausgerechnet bei Kachelmanns Ex-Freundin bestehe für die Belehrung, die vielleicht mal anderthalb Minuten dauert, keine Notwendigkeit. Dazu Gisela Friedrichsen:
Die Richter wissen doch, dass die Belehrung darüber nur unterbleiben darf, wenn eine Strafverfolgung der Zeugin „zweifellos ausgeschlossen“ ist. Will die Kammer damit signalisieren, sie steuere eine Verurteilung des Angeklagten an? … Warum setzen sich die Richter zusätzlich dem – berechtigten – Vorwurf aus, sie hielten es anscheinend für ausgeschlossen, dass die Zeugin die Unwahrheit gesagt hat?
Die Weigerung, die Zeugin korrekt zu belehren, wirft erneut ein schlechtes Licht auf die Richter. Denn es gibt wenige andere Erklärungsansätze als jenen, dass sie offenbar schon jetzt meinen, die Nebenklägerin lüge keinesfalls.
Allenfalls könnten die Richter noch „befürchten“, dass die Nebenklägerin nach der Belehrung Angst bekommt und schweigt. Abgesehen davon, dass dies wohl eher nicht zu erwarten ist, wäre es das gute Recht der Nebenklägerin. Die denkbare Besorgnis, die Frau könne nichts mehr sagen und der Prozess kippen, würde einen Verurteilungswunsch der Strafkammer belegen. So einen Wunsch darf ein korrekt arbeitendes Gericht aber gar nicht haben.
Die Strafkammer setzt sich also über eine gesetzliche, zudem nicht gerade übermäßig anstrengende Pflicht hinweg. Dabei hat sie die Strafprozessordnung sogar etwas auf ihrer Seite. Die unterbliebene Belehrung nach § 55 Strafprozessordnung kann der Angeklagte nämlich nicht mit der Revision rügen. Dieser Verfahrensfehler soll ihn nicht belasten, weil die Norm angeblich ausschließlich den Zeugen schützt.
Eine andere Frage ist allerdings, ob so eine krasse Fehlentscheidung wie die heutige nicht in jedem Angeklagten den Eindruck erwecken muss, er bekomme insgesamt kein faires Verfahren. Das ist nach meiner Meinung der Fall.
Der Befangenheitsantrag geht durch.