Ein als gefährlich eingestufter Sexualstraftäter, der seine Haftstrafen abgesessen hat, bleibt auf freiem Fuß. Der Bundesgerichtshof entschied nun, dass gegen den Mann nachträglich keine Sicherungsverwahrung angeordnet werden kann, weil seit seiner Verurteilung keine neuen Umstände aufgetreten sind, die seine Gefährlichkeit betreffen. Der Fall macht seit geraumer Zeit Schlagzeilen, weil der Mann bei seinem Bruder in Heinsberg wohnt und Anwohner für seinen Wegzug demonstrieren.
Der 58-Jährige war 1995 zu 14 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt worden. Das Gericht ordnete damals keine Sicherungsverwahrung an. Kurz vor Ende der Freiheitsstrafe beantragte die Staatsanwaltschaft München nachträgliche Sicherungsverwahrung. Diese lehnte das Oberlandesgericht München ab.
Nun hatte der Bundesgerichtshof über die Revision der Staatsanwaltschaft zu entscheiden. Im Ergebnis bestätigen die Bundesrichter, dass eine nachträgliche Sicherungsverwahrung nicht in Betracht kommt, und zwar aus folgenden Gründen:
Der Verurteilung aus dem Jahre 1995 (sog. Anlassverurteilung) lag ein schweres Sexualverbrechen zugrunde. Der Verurteilte missbrauchte während einer Nacht im April 1994 zwei vierzehn und fünfzehn Jahre alte Anhalterinnen in seinem speziell hierfür präpariertem VW-Bus. Die Tat hatte der Verurteilte zuvor genau geplant. Über mehrere Stunden hinweg vergewaltigte er die Opfer unter Beifügung von besonders entwürdigenden und schmerzhaften Verletzungen. Er versetzte sie unter Bedrohung mit einer Pistole in Todesangst, verklebte zudem deren Mund und fesselte sie.
Bei der Anlassverurteilung im Jahre 1995 war die Anordnung der Sicherungsverwahrung gemäß 66 StGB allerdings nicht möglich. Die vom Gesetz nach § 66 StGB geforderten Vorverurteilungen – lagen nicht vor.
Die Strafkammer, die 1995 zu entscheiden hatte, sah zudem auch die materiellen Voraussetzungen für die primäre Sicherungsverwahrung nicht als gegeben an. Entsprechend der Empfehlung des damals gehörten Sachverständigen verneinte sie einen Hang des Verurteilten zu erheblichen Straftaten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, wodurch er für die Allgemeinheit hätte gefährlich werden können.
Die Strafkammer, die nunmehr über die nachträgliche Sicherungsverwahrung nach § 66b StGB zu entscheiden hatte, stellte – wiederum sachverständig beraten – nunmehr doch einen Hang fest. Sie kam zu dem Ergebnis, dass vom Verurteilten sehr wohl erhebliche Sexualstraftaten zu erwarten sind. Deshalb sei er für die Allgemeinheit gefährlich. Diese abweichende Beurteilung des Hanges und der Gefährlichkeit beruht allerdings allein auf einer Neubewertung der bereits damals bekannten Umstände der Tat und der Persönlichkeit des Verurteilten.
Somit fehlte eine Voraussetzung für die nachträgliche Sicherungsverwahrung, die das Gesetz ausdrücklich vorsieht: Es müssen vor Ende des Vollzugs der Freiheitsstrafe Tatsachen für die Gefährlichkeit des Verurteilten erkennbar werden. Hierbei muss es sich um neue Tatsachen handeln.
Tatsachen sind aber jedenfalls dann nicht „neu“, wenn sie bereits bei der Anlassverurteilung erkennbar oder sogar schon bekannt waren. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und des Bundesverfassungsgerichts sind Tatsachen insbesondere dann nicht „neu“, wenn der Hang und die Gefährlichkeit aufgrund bereits damals bekannter und unverändert gebliebener Tatsachen lediglich anders bewertet werden. Andere „neu“ bekannt gewordene Tatsachen, insbesondere während des Strafvollzugs, auf welche die Gefährlichkeit gestützt werden könnte, hat das Landgericht nicht festgestellt.
Damit waren die vom Gesetz geforderten Voraussetzungen für die nachträgliche Sicherungsverwahrung nicht gegeben.
Urteil vom 13. Januar 2010 – 1 StR 372/09