Innenminister Wolfgang Schäuble, das schicke ich vorweg, ist bestimmt unschuldig am Wirbel um sein Wahlplakat. Er hat in den letzten Jahren viel Kritik abbekommen, aber selbst die drastische Schäublone nicht dazu genutzt, die nicht immer freundlich geführte politische Debatte mit rechtlichen Schritten zu beeinflussen. Ein Beleidigungsverfahren gegen einen Mann, der die Schäublone aufs Auto geklebt hatte, ist eingestellt worden. Wie man hört schon deswegen, weil Schäuble keinen Strafantrag gestellt hat.
Auch Familienministerin Ursula von der Leyen zeigt in ähnlicher Frage durchaus demokratische Qualitäten. Das „Zensursula“-Label hat ihr einen hoffentlich wenig schmeichelhaften Textkasten in jeder digitalen Politik-Unterrichtseinheit künftiger Schülergenerationen gesichert. Doch sie lobt das Ganze als „pfiffige Aktion“ und freut sich auch in der Zukunft auf „spannende Debatten“.
Es spricht also im Moment wenig dafür, dass bei der CDU jemand um den Erfolg der Plakataktion bangte und auf die glorreiche Idee gekommen ist, die Fotografin der Motive als Verfechterin des Urheberrechts vorzuschicken. Wenn ja, war es keine glückliche Entscheidung. Das gilt auch, falls die Fotografin nicht mit der CDU abgesprochen hat, dass sie von netzpolitik.org die Löschung der kreativ verfremdeten Plakate verlangen wird.
Die Fotografin liegt nämlich falsch. Sie kann die Löschung nicht verlangen.
Der erste diskussionsfähige Punkt ist, ob die Remixer überhaupt ein Werk der Fotografin verfremden. Sie nehmen nämlich nicht nur das Foto, sondern das im Auftrag der CDU von einer Werbeagentur erstellte Wahlplakat. Dieses Plakat besteht nicht nur aus dem Bild, sondern auch aus Text und einer grafischen Gestaltung.
Das Plakat dürfte also schon selbst wiederum ein eigenständiges Werk sein. Zum Beispiel ist es nicht verboten, ein Kochbuch zu fotografieren, auf dessen Titelseite eine Tomate prangt, und dieses Foto vom Kochbuch zu veröffentlichen. Auch wenn das Foto des Kochbuchs natürlich auch die Tomate zeigt, ist das Urheberrecht des Tomatenfotografen nicht verletzt.
Lasssen wir das mal offen, denn es gibt eindeutigere Punkte. Zunächst hat die Fotografin in einem Punkt recht. Das Urheberrecht für die Fotos liegt bei ihr. Schon deswegen, weil man das Urheberrecht nicht übertragen kann. Was man als Inhaber des Urheberrechts allerdings übertragen kann, sind die Nutzungsrechte. Wie weit diese im vorliegenden Fall jedenfalls gehen, lässt sich auf der Homepage der CDU nachlesen, wo es auch die Plakate zum Download gibt:
Alle Bilder auf www.bilder.cdu.de können für redaktionelle Zwecke unter Angabe des Bildnachweises (Foto: www.bilder.cdu.de) sowie des Fotografen (soweit genannt) kostenlos verwendet werden.
Die CDU räumt also das Recht ein, sämtliches Material für redaktionelle Zwecke zu verwenden. Wir müssen die Frage nicht beantworten, ob die Einschränkung auf redaktionelle Zwecke zulässig ist. Denn netzpolitik.org ist mittlerweile eine wichtige, viel beachtete und seriös geführte Online-Publikation.
Längst ist auch geklärt, dass derjenige, der Pressematerial zur Verfügung stellt, keine Einschränkungen zur inhaltlichen Verwendung machen kann. Nach dem Motto: Sie dürfen das Material nur nutzen, wenn positiv berichtet wird oder keine Veränderungen vorgenommen werden. Das ist mit der Presse- und Meinungsfreiheit nicht vereinbar.
Insoweit geht das Argument der Fotografin, sie wolle ihre Bilder nicht für Kampagnen oder Diffamierungen verwendet wissen, ins Leere. Jedenfalls so lange, wie die Remixe nicht gegen die allgemeinen Gesetze verstoßen, also zum Beispiel beleidigen. Dann wäre aber wiederum nicht die Fotografin am Zug. Sondern Wolfgang Schäuble. Oder seine Partei.
Nun könnte es so sein, dass die Fotografin schlauer ist als die CDU – und mit der Partei einen Knebelvertrag abgeschlossen hat. Möglicherweise hat sie der CDU gar nicht gestattet, ihre Fotos für Plakate zu verwenden, die dann wiederum als Pressematerial frei im Internet abgerufen werden können. Die CDU würde also Nutzungsrechte einräumen, die sie gar nicht hat.
Man kann sich denken, wie realistisch dieses Szenario ist.
Die Remixe auf netzpolitik.org sind also von den Nutzungsrechten, welche direkt von der CDU eingeräumt werden, gedeckt.
Wir brauchen also nur noch akademisch weiter zu denken. Was wäre, wenn die CDU ihr Pressematerial nicht so freigiebig streute? Die Antwort ergibt sich schon aus § 24 Urheberrechtsgesetz:
Ein selbständiges Werk, das in freier Benutzung des Werkes eines anderen geschaffen worden ist, darf ohne Zustimmung des Urhebers des benutzten Werkes veröffentlicht und verwertet werden.
Es ist also keineswegs so, dass sich Dritte nicht an fremden Werken bedienen dürfen. Es ist gestattet, wenn sie ein selbständiges Werk schaffen. Die Remixe sind jeweils ein eigenständiges Werk in Form der Satire. Satire ist gekennzeichnet durch die „antithematische Auseinandersetzung“. Dabei wird der Kritisierte mit den eigenen Mitteln geschlagen. Bei den Schäuble-Remixen entlarvt eine Sprechblase die andere. Der prozesserfahrene Plakat-Pionier Klaus Staeck lässt übrigens grüßen.
Überdies gibt es viele gerichtliche Ansagen durch alle Instanzen, dass gerade die politische Auseinandersetzung besonders frei geführt werden muss, noch dazu in Wahlkampfzeiten. Die Remixe sind also nicht nur von der Kunst-, sondern auch von der Meinungsfreiheit geschützt.
Wenn die CDU klug ist, bleibt sie locker wie Wolfgang Schäuble und Ursula von der Leyen und behindert nicht, zumindest indirekt, die politische Diskussion im Land. Dazu gehört, die Fotografin ganz schnell zurückzupfeifen.