Wer hat geschlafen bei der Staatsanwaltschaft Mönchengladbach? Wer hat dort hat gleich so viele Fehler gemacht, dass die jetzt zur plötzlichen Entlassung eines wohl gefährlichen Gefangenen aus der Untersuchungshaft geführt haben.
In U-Haft saß seit Anfang September vorigen Jahres ein 58-Jähriger unter schweren Vorwürfen. Der Mann soll innerhalb eines Jahres in 19 Fällen immer wieder Mädchen sexuell missbraucht haben, auch schwer. Entsprechend hoch ist die angedrohte Haftstrafe, sie reicht von mindestens zwei Jahren bis weit über 10 Jahre Gefängnis.
Doch der Mann ist seit vorgestern auf freiem Fuß. Er läuft durch Viersen. Das darf er. So hat es der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf (OLG) entschieden. Und nicht etwa mit seinem Beschluss über Schuld oder Unschuld geurteilt. Die Entscheidung ist aus Sicht der Justiz das schlichte Ergebnis einer automatischen Prüfung, unabhängig von der Schwere der Tat und der zu erwartenden Strafe.
Obwohl bei dem 58-Jährigen sogar ausdrücklich Fluchtgefahr angenommen wird. Das OLG hat sich blank auf ein rechtsstaatliches Prinzip gestützt. Die Untersuchungshaft hat gesetzliche Grenzen. Sie soll nicht mehr als sechs Monate dauern, kann aber vom OLG verlängert werden. Das passierte auch vor einem knappen Vierteljahr.
Alles schien rund zu laufen. Die Staatsanwaltschaft Mönchengladbach hatte sich an das Gebot des beschleunigten Verfahrens gehalten. Zwischendurch aber gab es Fehler. Nach der Festnahme des Mannes vergingen drei Monate, bis ein Gutachter eingeschaltet wurde. Der bekam zwar die Mahnung „Eilige Haftsache“ mit der Bitte um ein „schnellstmögliches Gutachten“. Das freilich wurde erst 5 Monate später, am 20. Mai abgeliefert.
Jetzt zog das OLG nicht mehr mit, es unterstellte der Staatsanwaltschaft, „nicht mit gebotenem Nachdruck“ gearbeitet zu haben. „Wir respektieren die Entscheidung“, so sagten es gestern unisono Justizministerin Roswitha Müller-Piepenkötter (CDU) und Generalstaatsanwaltschaft Gregor Steinforth. Beide sprachen aber von einer „völlig unerträglichen“ Folge.
Die Sorgen, das Unverständnis der Opfer und deren Angehörigen, überhaupt der Bürgerinnen und Bürger seien nachvollziehbar. Deshalb gebe es bereits eine umfassende Untersuchung zur Aufklärung des Falls. Unterdessen leistet die Polizei in Viersen Sonderschichten. Sie hält zu allen Betroffenen ständigen Kontakt, bietet allen Hilfe an. „Wir tun alles, um neuerliche Straftaten zu verhindern“, versichert Behördensprecherin Antje Heymanns.
Mit dem entlassenen Häftling „haben wir gesprochen“. Und sie wollen weiter mit ihm sprechen. Über die genaue Strategie der Polizei will Heymann „selbstverständlich“ nicht informieren. Fest steht: Niemand kann den 58-Jährigen, der schon zwischen 1972 bis 1979 einschlägig auftrat, festnehmen. Vielleicht kommt er freiwillig zu seinem Prozess, der im August geplant ist. Vorläufig jedenfalls. (pbd)
Die Rechtslage: Das Gesetz ist streng, es schützt auch Menschen hinter Gittern. Grundsätzlich darf niemand länger als sechs Monate in Untersuchungshaft genommen werden. Für Ausnahmen gibt es hohe Hürden, etwa bei „besonderen Schwierigkeiten“ des Ermittlungsverfahrens oder beim „besonderen Umfang der Ermittlungen“.
Ob Ausnahmen vorliegen, wird durch das jeweiige Oberlandesgericht regelmäßig geprüft. Es kann die Untersuchungshaft verlängern, aber auch den Haftbeschluss aufheben. 2001 war auf diese Art ein des Mordes beschuldigter Mann vom Oberlandesgericht Hamm entlassen worden. Haftbefehlsaufhebungen gab es in Nordrhein-Westfalen 2003 achtmal, 2004 elfmal, 2005 13mal, 2006 16mal, 2007 zehnmal, 2008 fünfmal und diesem Jahr bislang dreimal. (pbd)