Ich hätte es für denkbar gehalten, dass der eine oder andere Abgeordnete verfassungswidrige Gesetze abnickt, weil er dämlich ist. Und es nicht rafft, was er beschließt. Ebenso konnte ich mir vorstellen, dass Abgeordnete faul sind und gar nicht lesen, worüber sie abstimmen. Auch wenn ich es ungern laut sage, hielt ich es sogar für möglich, dass der eine oder andere Bundestagsabgeordnete sich beim Hammelsprung verläuft, wenn jemand vorher einen Briefumschlag in seinem Büro vergisst.
Allerdings war es für mich bislang unvorstellbar, dass Abgeordnete ein Gesetz verabschieden, das sie für verfassungswidrig halten. Aber das ist jetzt geschehen. Abgeordnete der SPD geben es in einer Erklärung (PDF, siehe Seite 13031) zu ihrem Verhalten bei der Abstimmung über die Vorratsdatenspeicherung und die neuen Abhörbefugnisse offen zu:
Eine Zustimmung ist auch deshalb vertretbar, weil davon auszugehen ist, dass in absehbarer Zeit eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts möglicherweise verfassungswidrige Bestandteile für unwirksam erklären wird.
Begründet wird diese merkwürdige Berufsauffassung mit dem Hinweis, immerhin trage das Gesetz „nicht den Makel der offensichtlichen Verfassungswidrigkeit auf der Stirn“. Was ist denn das für ein Argument? Der einfache Bundestagsabgeordnete reagiert also nicht mehr auf Verfassungsbrüche, wenn er vorher – kurz – nachdenken muss. Apropos selbst denken: Ist der Bundestag nicht das Haus, in dem ein juristischer Dienst auf Fingerschnipp jeden Paragrafen-Pups seziert?
Weiteres Argument: Man habe doch schon so viel erreicht. Durch einige Milderungen zu den ursprünglichen Plänen sei die Sache „weniger unerträglich“. Das ist eine Formulierung mit Ewigkeitswert. Sie wird mich noch erheitern, wenn es längst unerträglich ist.